Geschichte

Hamburger Sturmflut: Wie Helmut Schmidt zum Krisenmanager wurde

Während der Hamburger Sturmflut erarbeitete sich Helmut Schmidt den Ruf des Krisenmanagers. Wie es dazu kam und wie Schmidt das Image für sich genutzt hat, erklärt Meik Woyke von der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung im Interview.
von Kai Doering · 23. Dezember 2021
Helmut Schmidt als Verteidigungsminister 1972: Die Bezeichnung „Macher“ hat ihn immer sehr gestört.
Helmut Schmidt als Verteidigungsminister 1972: Die Bezeichnung „Macher“ hat ihn immer sehr gestört.

Während der Hochwasserkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen im Sommer tauchten immer wieder Bilder in den Medien und sozialen Netzwerken auf, die Helmut Schmidt während der Hamburger Sturmflut 1962 zeigten. Lassen sich die Situationen vergleichen?

Helmut Schmidt hat den Ruf als Krisenmanager durch zwei Ereignisse erhalten: durch die Flutkatastrophe 1962 in Hamburg und durch sein reflektiertes Handeln im sogenannten deutschen Herbst gegen den Terror der RAF. Dass in Krisensituationen wie während der verheerenden Flut im Sommer nach einem starken Mann gerufen wird, der die Dinge in Ordnung bringt, ist vollkommen normal. Inwieweit sich die Ereignisse vergleichen lassen, ist schwer zu sagen. Politik hat sich in den letzten 60 Jahren deutlich verändert. Fest steht, dass Helmut Schmidt die Hamburger Sturmflut beherzt als zupackender Krisenmanager zu einem vergleichsweise guten Ende geführt hat. Hätte er damals anders gehandelt, hätte es vermutlich deutlich mehr Todesopfer zu beklagen gegeben.

Was genau hat Schmidt damals getan?

Als er am Morgen des 17. Februar 1962 im Hamburger Polizeipräsidium eintraf, hat er einen Krisenstab vorgefunden und sich sofort an dessen Spitze gesetzt. Entscheidungswege hat er kurz gehalten und in der Folge dafür gesorgt, dass Hilfsgelder unkompliziert ausgeschüttet werden. Wichtig für das spätere Bild war sicher auch, dass Helmut Schmidt die Öffentlichkeit transparent informiert hat. Gerade letzteres hat er später auch für die Darstellung seiner eigenen Rolle zu nutzen gewusst.

War er denn der „Macher“ als der er später beschrieben wurde – oder ist das eher eine historische Verklärung?

Die Bezeichnung „Macher“ hat Helmut Schmidt immer sehr gestört. Er war aber in jedem Fall ein zupackender Krisenmanager. Dabei agierte er jedoch nie hemdsärmelig. Vielmehr besaß er intellektuelle Leitplanken und betrieb wertebasiert Politik. Zeit seines Lebens hat Schmidt sich mit Marc Aurel beschäftig, mit Kant, mit Max Weber und mit Popper. Sie haben ihm die „philosophische Hausapotheke“ für sein Handeln geliefert. Auf dieser Grundlage war ein Macher für Helmut Schmidt immer jemand, der handelt, ohne nachzudenken. Und das hat er bei allem Pragmatismus niemals getan. Die CDU hat später übrigens versucht, das Macher-Image, das Medien ihm zugeschrieben haben, gegen Helmut Schmidt zu verwenden, indem sie ihn im Wahlkampf etwa als „Schulden-Macher“ bezeichnet haben.

Bei der Hamburger Sturmflut hat Helmut Schmidt bewusst Befehlsketten umgangen und sogar Soldaten aus anderen Ländern zur Unterstützung angefordert. Wie war das überhaupt möglich?

Helmut Schmidt war bereits als Bundestagsabgeordneter von Fritz Erler in transatlantische Sicherheits- und Nato-Kreise eingeführt worden. Zusätzlich verfügte er über beste Kontakte in die noch junge Bundeswehr, deren Gründung er als einer der wenigen Sozialdemokraten befürwortet hatte. Insofern wusste er, wen er anrufen musste. Allerdings muss man auch sagen, dass dieser Teil der Sturmflut-Geschichte heute stark verklärt wird. Wenn man sich die damaligen Quellen ansieht, wird klar, dass die Bundeswehr bereits vor Schmidts Fernschreiben und Anrufen alarmiert gewesen ist. Möglich ist sogar, dass die Bundeswehr bereits Unterstützung der Nato-Partner angefordert hatte. Auch den Krisenstab gab es bereits vor Schmidts Eintreffen im Polizeipräsidium. Er hat ihn dann straff organisiert und geführt, wobei ihm seine Weltkriegserfahrung als Offizier der Deutschen Wehrmacht zugutekam. Welchen Effekt das letztlich hatte, ist heute kaum noch genau nachzuvollziehen.

Der Sturmflut-Held Schmidt ist also nur ein Mythos?

Nein, keinesfalls! Es brauchte Führung, es brauchte Krisenmanagement und den zupackenden Krisenmanager. All das brachte Helmut Schmidt mit. Er hat auch verhindert, dass aus der Sturmflut keine maximale Katastrophe wurde. Statt der zu beklagenden 315 Toten hätten es sonst schnell viel mehr Tote werden können. Das ist in jedem Fall Schmidts Verdienst. Allerdings wurde die Geschichte später von ihm und durchaus auch von den Medien etwas ausgeschmückt und verklärt. Über die Jahre wurde Schmidts Rolle immer größer.

Wie sehr hat Schmidt sein Ruf des Sturmflut-Managers politisch genutzt?

Sehr. Das Ereignis und der Ruf, der daraus entstanden ist, waren nicht ursächlich für seine Karriere, aber Schmidt stand dadurch im Februar 1962 plötzlich im nationalen Rampenlicht – ähnlich wie Willy Brandt, der als Berliner Bürgermeister ein halbes Jahr zuvor beim Mauerbau im internationalen Fokus gestanden hatte. Helmut Schmidt war sehr enttäuscht gewesen, 1961 nicht in Brandts „Schattenkabinett“ für die Bundestagswahl berufen worden zu sein. 1965 gehörte er dann wie selbstverständlich dazu, weil er sich in den vier Jahren profiliert hatte. Insofern war die Sturmflut sicher ein Karriere-Beschleuniger.

Welchen Platz nimmt die Sturmflut in Ihrer Ausstellung über Helmut Schmidt ein?

Ihr ist eines von zwölf Großbildern gewidmet. Sie ist ein wichtiger Meilenstein in Helmut Schmidts politischem Leben und als solcher wird sie auch bei uns in der Ausstellung gewürdigt.

Heute ist die Hilfe der Bundeswehr bei Katastrophen im Innern gang und gäbe, etwa bei Hochwasser und gerade in der Corona-Pandemie. 1962 war ihr Einsatz im Innern jedoch verboten. Musste sich Schmidt dafür jemals verantworten, sie zu Hilfe gerufen zu haben?

Nein, niemals. Später hat er, um seine eigene Leistung und seinen Mut noch etwas größer erscheinen zu lassen, immer stärker betont, dass er gegen das Grundgesetz verstoßen habe. Das hatte aber keinerlei negative Konsequenzen für ihn. Bereits in den 1950er Jahren gab es Präzedenzfälle in Schleswig-Holstein und Hessen, wo die Bundeswehr bei Ernte-Notständen geholfen hatte. Helmut Schmidt hat allerdings trotz seines Vorgehens in Hamburg nie einen Zweifel daran gelassen, dass die Bundeswehr als Parlamentsarmee immer an Beschlüsse des Bundestags gebunden sein muss. Die Erfahrungen aus der NS-Zeit waren ihm noch sehr präsent.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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