Inland

Warum Deutschland auch im Bund ein Tariftreuegesetz braucht

Beschäftigte in tarifgebundenen Betrieben verdienen mehr, doch die Tarifbindung in Deutschland geht zurück. Die Regierungskoalition will gegensteuern. Bremen macht vor, wie man einen Anreiz für Unternehmen schafft, Tarifverträge abzuschließen.
von Vera Rosigkeit · 12. Juni 2023
Beschäftigte in Betrieben mit Tarifbindung verdienen durchschnittlich elf Prozent mehr Gehalt.
Beschäftigte in Betrieben mit Tarifbindung verdienen durchschnittlich elf Prozent mehr Gehalt.

Die sinkende Tarifbindung ist nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten europäischen Union Trend. Auf dem 15. Kongress des Europäischen Gewerkschaftsbundes Ende Mai in Berlin erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz, dass die Verabschiedung der Mindestlohn-Richtlinie auf EU-Ebene zwar ein wichtiger Schritt war, aber eben nicht reiche.

Beschäftigte verdienen weniger

Für ihn komme es nun darauf an, „dass wir die Tarifbindung wieder steigern“, erklärte er. Gute Tarifabschlüsse seien Ausdruck des Respekts für die Leistung der Beschäftigten, darum sei die Steigerung der Tarifbindung so wichtig. Tatsächlich nimmt die Tarifbindung in Deutschland seit den 2000er Jahren stetig ab. Einer Analyse des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zufolge konnten im Jahr 2021 nur noch 52 Prozent der Beschäftigten auf tarifvertraglich festgeschriebene Ansprüche zählen, verglichen mit 68 Prozent im Jahr 2000. Die Gründe für den Rückgang werden in dem Bericht zur Tarifbindung in den Bundesländern als vielfältig beschrieben: Oft ist vom wirtschaftlichen Strukturwandel die Rede, insbesondere einer Verlagerung der Beschäftigung aus industriellen Großbetrieben hin zu kleinteiligeren Strukturen m Dienstleistungssektor.

Zudem gibt es ein deutliches West-Ost-Gefälle: Während der Anteil tarifgebundener Arbeitsplätze in Bundesländern wie Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz oder Hessen noch zwischen 59 und 55 Prozent liegt, kommen Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Brandenburg und Thüringen nur noch auf einen Anteil zwischen 41 und 46 Prozent. Mit deutlichen Nachteilen für die Beschäftigten. Denn einer weiteren WSI-Untersuchung zufolge, arbeiten Vollzeitbeschäftigte in tariflosen Betrieben im Mittel wöchentlich 54 Minuten länger und verdienen trotzdem elf Prozent weniger als Beschäftigte in Betrieben mit Tarifbindung.

Bremen: Tariftreue- und Vergabegesetz seit 2002

In diesem Zusammenhang verwies Scholz auf dem Gewerkschaftskongress auf das Vorhaben der Regierungskoalition, die Tarifautonomie, die Tarifpartnerschaft und die Tarifbindung fördern. Laut Koalitionsvertrag wollen SPD, Grüne und FDP die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes an die Einhaltung eines Tarifvertrages binden. Das Bundesland Bremen spielt hier eine Vorreiterrolle. Hier wurde ein sogenanntes Tariftreue- und Vergabegesetz bereits 2002 eingeführt. Allerdings galt es bis zu Beginn dieses Jahres nur für das Baugewerbe und den öffentlichen Personennahverkehr. Es regelt, dass öffentliche Aufträge nur an tariftreue Unternehmen vergeben werden dürfen.

„Der Tarifvertrag ist ein Schutzschild für die Beschäftigten“, sagt Marion Salot von der Arbeitnehmerkammer Bremen. Der gesetzliche Mindestlohn sei zwar eine gute Sache, aber „Tarifverträge sind besser. Während durch einen gesetzlichen Mindestlohn eine Untergrenze gezogen wird, um den freien Fall der Löhne zu verhindern, sollen Tarifverträge dazu beitragen, die Beschäftigten sozial abzusichern, damit sie von ihren Löhnen gut leben können und auch eine auskömmliche Rente bekommen. Untersuchungen zeigen, dass Beschäftigte, die in tarifgebundenen Betrieben arbeiten, zufriedener sind, weil ein faires und verbindliches Raster geschaffen wurde.“

Auch in Bremen ging seit den 2000er Jahren die Tarifbindung kontinuierlich zurück. Das Tariftreue- und Vergabegesetz trägt dafür Sorge, dass „mit öffentlichen Geldern keine Unternehmen finanziert werden, die auf Kosten von geringeren Löhnen ein attraktiveres Angebot unterbreiten können“, erklärt die Wirtschaftswissenschaftlerin. Anders gesagt soll es verhindern, „dass mit öffentlichen Mitteln Lohndumping unterstützt wird, wo man dann möglicherweise noch mit Bürgergeldzahlungen nachhelfen muss. Sie begrüßt, dass die Regierung das Gesetz auch auf den Dienstleistungsbereich erweitert hat. Seit Januar 2023 werden bei allen öffentlichen Bau- und Dienstleistungsaufträgen die Betriebe zur Zahlung von Tariflöhnen verpflichtet.

Staat nutzt Nachfrage-Macht

Gut seien auch die geringen Schwellenwerte, ab denen es greift. So könne ein großer  Teil der öffentlichen Aufträge vom Tariftreue- und Vergabegesetz erfasst werden. Für Dienstleistungsaufträge gelte das Gesetz ab 3.000 Euro, im Baugewerbe ab 5.000 Euro.

Tarifbindung und Sozialpartnerschaft zu stärken, müsse jeder Regierung wichtig sein, erklärt Salot. „Als Auftraggeber hat man natürlich eine gewisse Nachfrage-Macht, die es zu nutzen gilt." Tarifverträge hätten auch gesellschaftliches Potenzial, indem sie beispielsweise den Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ sichern und so dazu beitragen, die Entgeltlücke zwischen Männern und Frauen zu schließen.“

Es sei wichtig, dieses Gesetz auch auf Bundesebene anzuwenden. Die Botschaft sei klar: „Wenn ich nicht nach Tarif bezahle, kann ich mich nicht für öffentliche Aufträge bewerben und bin dann raus. Das soll ein Anreiz für Unternehmen sein, Tarifverträge abzuschließen. Diese Hoffnung steckt dahinter.“

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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