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Petra Köpping: „Die Ostdeutschen haben die Deutsche Einheit geschafft“

Vor 33 Jahren wurde Deutschland wiedervereinigt. Trotzdem gibt es noch immer große Unterschiede zwischen Ost und West. Woran das liegt und wie die „innere Einheit“ vollendet werden kann, sagt Sachsens Sozialministerin Petra Köpping im Interview.
von Kai Doering · 30. September 2023
Petra Köpping: Von einer inneren Einheit sind wir immer noch ein ganzes Stück entfernt.
Petra Köpping: Von einer inneren Einheit sind wir immer noch ein ganzes Stück entfernt.

Welche Bedeutung hat der 3. Oktober für Sie?

Das Datum selber hat wenig Bedeutung, aber das, wofür es steht natürlich schon. Die Überwindung der Deutschen Teilung, die Deutsche Einheit. Formal ist die Einheit seit dem 3. Oktober 1990 vollzogen. Von einer inneren Einheit sind wir jedoch immer noch ein ganzes Stück entfernt. Wenn ich Westdeutsche frage, was sich für sie mit der Wende geändert hat, lautet die Antwort: nichts. Wenn ich Ostdeutsche frage, lautet die Antwort: alles. Da sehen wir zwei grundverschiedene Perspektiven. Diese gegenseitig wenigstens zu sehen und zu akzeptieren, ist das Mindeste, was wir brauchen.

Hinzu kommen natürlich die immer noch großen Unterschiede beim materiellen Vermögen der Menschen. In Ostdeutschland haben Familien weniger Wohneigentum, weniger zu vererben, weniger Einkommen und kleinere Renten. Auch wenn es uns gelungen ist, die Rentenansprüche in Ost und West jetzt anzugleichen, ein Jahr früher als geplant, bleibt es ja trotzdem ein Fakt: Wer weniger Lohn bekommt, wird später weniger Rente bekommen. Deshalb ist es so wichtig, dass die Lohnmauer zwischen Ost und West endlich fällt. Denn in Ostdeutschland verdienen die Menschen im Schnitt immer noch etwa 700 Euro weniger als im Westen. Jeden Monat, wohlgemerkt.

Was ist der Grund für diese deutlichen Unterschiede, 33 Jahre nach der Wiedervereinigung?

Das ist eine Entwicklung, die politisch zu lange dem sogenannten Markt überlassen wurde. Ostdeutsche Bundesländer, allen voran Sachsen, haben sich gern als Wirtschaftsstandorte mit besonders unternehmerfreundlichen Bedingungen angeboten – nämlich als „Billiglohnländer“, als Regionen, wo Arbeit wenig kostet und damit die Produktionskosten niedrig sind. So hat man versucht, Firmen anzulocken. Zum Teil hat das auch funktioniert. Von der Seite der Beschäftigten aus betrachtet, hat es aber ganz klar den Nachteil der schlechten Bezahlung. Dem laufen wir jetzt hinterher. Sachsen ist das Bundesland, in dem die meisten Menschen von der Erhöhung des Mindestlohnes profitiert haben. Deutlich mehr als 300.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verdienen in Sachsen nur Mindestlohn. Das sind 18 Prozent aller Arbeitsverhältnisse. Daran sehen wir, wie wichtig die von der SPD-geführten Bundesregierung und Hubertus Heil durchgesetzte Mindestlohnerhöhung gewesen ist. 

Gerade Ostdeutschland trifft auch der Umbau zum klimaneutralen Wirtschaften besonders, etwa beim Kohleausstieg. Helfen die Erfahrungen der Umbruchszeit 1989/1990 dabei, diese Veränderungen zu bewältigen?

Sicherlich werden uns die Erfahrungen der 90er-Jahre dabei helfen. Andererseits machen genau diese Erfahrungen den Menschen auch Angst. Da kommen die gebrochenen Erwerbsbiografien der Eltern bei der Generation der Kinder wieder ins Gedächtnis. Wir müssen also umso mehr für gelingende Veränderungen werben, erklären, wie diese gelingen können und vor allem die Menschen mit ihren ganz individuellen Erfahrungen, Vorstellungen und Ideen einbinden in diesen ganzen Prozess. Nicht wir Politikerinnen und Politiker bauen die Wirtschaft um, sondern die Menschen in diesem Land. Die Politik muss den Rahmen abstecken, Linien vorgeben, damit die Menschen sich sicher fühlen und eine Orientierung haben, wo es hingehen wird. Damit nehmen wir Ängste und setzen Potenziale frei für die Entwicklung unseres Industrie- und Wirtschaftsstandortes Sachsen gemeinsam mit den Menschen im Freistaat.  

Was muss passieren, damit die oft zitierte „innere Einheit“ vollendet wird?

Erst einmal müssen die Menschen auf allen Seiten verstehen, dass es unterschiedliche Perspektiven auf die Geschichte gibt, dass es ganz persönliche Schicksale sind, über die wir sprechen. Wir müssen anerkennen, dass die Ostdeutschen eine wahnsinnige Leistung vollbracht haben, indem sie die DDR von innen heraus aufgelöst haben. Die Ostdeutschen haben die Deutsche Einheit geschafft, nicht Helmut Kohl. Die Ostdeutschen haben mit den Brüchen ihrer Biografien, mit Arbeitslosigkeit, schlecht bezahlten Jobs, zerrissenen Familien und vielen anderen Einschränkungen und Verwerfungen dafür bezahlt. Nicht die Westdeutschen haben uns den Wohlstand geschenkt. Nein, wir haben uns den hier im Osten selber hart erarbeitet. Das auch in Westdeutschland anzuerkennen, wirklich im Inneren zu begreifen, zu fühlen – das wird die Deutsche Einheit vollenden.

Das Interview wurde schriftlich geführt.

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