Parteileben

Warum eine Stuttgarter SPD-Gemeinderatskandidatin mit einem Pferd wirbt

Am Sonntag wird in Stuttgart ein neuer Gemeinderat gewählt. Für die SPD will erstmals Sara Dahme einziehen. Dafür setzt die Kulturvermittlerin auf freche Sprüche und ein weißes Pferd.

von Kai Doering · 5. Juni 2024
Wahlplakate von Sara Dahme in Stuttgart: „Alle haben sich etwas getraut.“

Wahlplakate von Sara Dahme in Stuttgart: „Alle haben sich etwas getraut.“ 

Die Sache mit dem Schimmel ist sogar Thilo Jung aufgefallen. „Kommt das erste Pferd ins Europaparlament?“, fragte der Videojournalist („Jung & Naiv“) Ende Mai auf der Plattform X und postete das Bild eines Wahlplakats dazu. Das zeigt eine blonde Frau im roten Kleid mit einem Schimmel und dem Spruch „Aufs richtige Pferd setzen“ und der Aufforderung „09.06. SPD wählen“. Die blonde Frau ist Sara Dahme. Ins Europaparlament will sie aber nicht, sondern in den Stuttgarter Gemeinderat. Der wird am 9. Juni zusammen mit dem Europaparlament gewählt.

Der „Kultur Kiosk“ macht Lust auf Kommunalpolitik

„Die Kommunalwahl ist mit das spannendste Element, das wir in der Politik in Deutschland haben“, findet Dahme. Der Grund ist für sie ganz einfach: Nirgendwo sonst sind sich Politiker*innen und Wähler*innen näher. „Man kann die Leute immer direkt ansprechen.“ Dass Sara Dahme nun in die Kommunalpolitik strebt, liegt vor allem am „Kultur Kiosk“. Eröffnet in der Hochphase der Corona-Pandemie 2020 war der kleine Raum in der Stuttgarter Innenstadt mal Galerie, mal Bar, mal Café – aber stets ein Ort, an dem unterschiedlichste Menschen miteinander ins Gespräch kamen. Im vergangenen Jahr musste Sara Dahme ihn schließen. Am Ende fehlte das Geld.

Gelernt hat Sara Dahme über den „Kultur Kiosk“ aber eine Menge. „Ich hatte viel Kontakt zu städtischen Behörden, habe mich über einiges geärgert und war bei anderem baff, wie schnell und unkompliziert es Unterstützung gab“, erzählt sie. Irgendwann dachte sich Dahme: „Wenn man schon im Kleinen so viel erreichen kann, dann klappt das auch im Größeren.“ Die Idee für die Gemeinderatskandidatur war geboren. Die SPD setzte sie auf Platz drei ihrer Liste.

Eine eigene Plakat-Kampagne

Und sie ließ Sara Dahme freie Hand, ihre Wahlkampfideen umzusetzen. „Die Partei war sehr offen“, erinnert sich die Kandidatin. „Alle haben sich etwas getraut.“ In Anlehnung an eine bekannte Dating-Website verspricht Dahme auf einem Plakat „Alle 11 Minuten verliebt sich jemand in die SPD“. Auf einem anderen heißt es: „SPD kann auch anders“. Und auf einem dritten fragt Sara Dahme: „Motzt du noch oder wählst du schon?“

Und dann ist da noch das Plakat mit dem Pferd, das übrigens „Rainman“ heißt. Gefunden hat es Sara Dahme, die selbst lange passionierte Reiterin war, auf einem Pferdehof bei Stuttgart über eine Facebook-Gruppe. Zum Fotoshooting musste „Rainman“ den Hof nicht verlassen. Der Hintergrund wurde später per Photoshop eingefügt, und nicht nur der. „Kurz bevor wir die Fotos machen wollten, hat sich Rainman ordentlich im Matsch gewälzt“, erzählt Sara Dahme. In der Bildbearbeitung wurde der Dreck dann entfernt.

„Den Gaul von der CDU zurückholen“

Das Plakat mit dem Schimmel ist Dahmes Lieblings-Plakatmotiv. „Das Plakat funktioniert auf ganz vielen Ebenen“, schwärmt sie. Da ist zum einen das Pferd, das das Stuttgarter Stadtwappen ziert – Stuttgart bedeutet eigentlich „Stutengarten“. Dass die CDU das Wappen seit Jahrzehnten für ihre eigenen Parteimaterialien nutzt, ärgert Sara Dahme, die seit ihrem Studium in der Stadt lebt, schon lange. „Mein Plakat ist deshalb auch ein Versuch, den Gaul von der CDU zurückzuholen“, sagt sie.

Dahme will das Motiv aber auch als Möglichkeit verstanden wissen, die Mobilitätsprobleme in Stuttgart „mit einem Augenzwinkern“ anzusprechen. „Zurück zu einem PS“, lautet ihr – nicht ganz ernst gemeinter – Appell. Aber natürlich setzt Sara Dahme auch ein bisschen auf die niederen Instinkte der Wähler*innen. „Pferde sprechen viele Menschen an“, sagt sie. Als Sympathieträger auf einem Wahlplakat seien sie also geeignet. Die Strategie scheint sich auszuzahlen. Schon einige hätten sie mit dem Satz „Sie sind doch die Frau mit dem Pferd“ angesprochen. Eine Familie habe ihr sogar nach einer Diskussion am Frühstückstisch eine E-Mail geschrieben und gefragt, was sie mit dem Pferd auf dem Plakat denn eigentlich bezwecke.

Ihre Stelle als Lehrerin hat sie halbiert

Über diese Reaktion hat sich Sara Dahme besonders gefreut, denn ihr Ziel ist es, mit Menschen ins Gespräch zu kommen und sie miteinander zu verbinden. Im Wahlkampf trifft sie sich deshalb mit Stuttgarter Persönlichkeiten, um mit ihnen über ihre Vorstellungen für die Stadt zu sprechen. Mit dem Entertainer Michael Gaedt fuhr sie im Oldtimer. Den Schriftsteller Björn Springorum traf sie an der Tischtennisplatte. Videos der Gespräche sind in ihrem Instagram-Kanal zu sehen. Wer mit Sara Dahme sprechen möchte, kann das etwa bei einem „politischen Espresso“ tun, zu dem sie regelmäßig einlädt.

Für den Wahlkampf hat sie ihre Stelle als Kunstlehrerin an einem Gymnasium in Backnang halbiert. „Sonst wäre all das gar nicht zu schaffen.“ Dahme ist sich bewusst, dass sie als Beamtin privilegiert ist, diese Möglichkeit zu haben. „Ich mache das, weil mir diese Kandidatur wirklich wichtig ist.“ Dabei geht es ihr nicht ums Geld: Mitglied der Gemeindevertretung zu sein, ist ein Ehrenamt, für das es nur eine symbolische Aufwandsentschädigung gibt.

Kunst und Kultur als Basis einer sozialen Stadtentwicklung

„Ich möchte mich für eine lebenswerte Stadt und die Kultur in Stuttgart einsetzen“, sagt Sara Dahme selbstbewusst. „Kulturelle Teilhabe muss selbstverständlicher, lebendiger, inklusiver und zugänglicher werden.“ Als Mitglied des Gemeinderats will sie dafür sorgen, dass die Stadt „Möglichkeitsräume“ für die Kultur schafft, wie sie es mit dem „Kultur Kiosk“ selbst getan hat. Auch soll die Kultur in der Stadt sichtbarer werden. „Kunst und Kultur sind für mich die Basis einer sozialen Stadtentwicklung, da sie Menschen verbindet und Diskurse anstößt“, sagt Sara Dahme.

Und damit wären wir bei dem eigentlichen Auslöser für das Pferde-Plakat. Das greift nämlich eine Mercedes-Werbung aus dem Jahr 1927 auf. Auf dem Schwarz-Weiß-Foto posierte eine junge Frau vor dem neuesten Sportwagenmodell des Stuttgarter Autobauers. Im Hintergrund das gerade erst fertiggestellte Doppelhaus des schweizerisch-französischen Architekten Le Corbusier in der Stuttgarter „Weißenhofsiedlung“. „Es ist eins meiner Lieblingshäuser“, sagt Sara Dahme, die auch nicht weit entfernt wohnt. Das – inzwischen ikonische – Werbemotiv sei ihr zudem ständig während ihres Kunststudiums über den Weg gelaufen. Dass es einmal Vorlage für ihr Wahlplakat werden würde, hätte sie sich damals wohl nicht träumen lassen. 

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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