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SPD-Chef Klingbeil: Wie eine moderne Nord-Süd-Politik aussieht

Die Weltordnung verändert sich, nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine. Lars Klingbeil will die Staaten des Globalen Südens stärker und „auf Augenhöhe“ einbinden. Was es dafür braucht und wo Deutschland besonders profitieren könnte, sagt der SPD-Chef im Interview.

von Kai Doering · 18. März 2024
SPD-Chef Lars Klingbeil: Die Zeiten, in denen wir in Europa gedacht haben, alle wollen so sein wie wir, sind definitiv vorbei.

SPD-Chef Lars Klingbeil: Die Zeiten, in denen wir in Europa gedacht haben, alle wollen so sein wie wir, sind definitiv vorbei.

Anfang März besuchte Lars Klingbeil Namibia, Ghana und Südafrika. Im Anschluss legte er ein Fünf-Punkte-Papier für die Demokratisierung der internationalen Ordnung vor. An diesem Montag wird es der SPD-Vorsitzende während einer öffentlichen Veranstaltung im Willy-Brandt-Haus vorstellen und an einer Diskussion über eine neue Nord-Süd-Politik – u.a. mit Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze – teilnehmen.

Können Sie sagen, welcher SPD-Vorsitzende zuletzt vor Ihnen Afrika besucht hat? 

In der Funktion als Parteivorsitzender bin ich tatsächlich seit sehr langer Zeit der erste, der wieder für die SPD nach Afrika gereist ist.

Was hat Sie bewegt, gerade jetzt nach Namibia, Ghana und Südafrika zu reisen?

Ich bin ja schon länger dabei, die internationale Politik der SPD neu auszurichten. Im ersten Jahr als SPD-Vorsitzender habe ich deshalb viele Schwesterparteien in Europa und in Südamerika besucht, im zweiten Jahr dann in Asien. Zu Beginn dieses Jahres war klar, dass das nächste Ziel Afrika sein muss. Die SPD hat dort viele Schwesterparteien, die mich zum Teil schon mehrfach zu einem Besuch eingeladen hatten. Das habe ich jetzt wahrgenommen.

Lars
Klingbeil

Die Zeiten, in denen wir in Europa gedacht haben, alle wollen so sein wie wir, sind definitiv vorbei.

Schon vor Ihrer Reise haben Sie kritisiert, dass die SPD, aber auch Deutschland den Austausch mit dem Globalen Süden zu lange vernachlässigt hat. Wird diese Vernachlässigung vor Ort auch gesehen?

Es ist nicht so, dass die Länder des Globalen Südens auf uns warten würden. Dazu sind sie viel zu selbstbewusst. Die südafrikanische Regierung zum Beispiel übernimmt international Verantwortung und baut Partnerschaften aus. Sie sagt ganz klar: Wenn ihr uns keine attraktiven Angebote zur Zusammenarbeit macht, finden wir auch andere Partner.

Ein Land, das in Afrika seit Jahren deutlich in Erscheinung tritt, ist China, das sehr viele Infrastrukturprojekte in verschiedenen Ländern macht. Haben die Länder, die Sie besucht haben, da überhaupt noch Interesse an einer Zusammenarbeit mit Deutschland? 

Ja, das Interesse, stärker mit Deutschland zusammenarbeiten, ist groß. Deutschland ist nach wie vor ein Partner erster Wahl. Die Regierungen von Namibia, Ghana und Südafrika wollen mit uns zusammenarbeiten, etwa wenn es um eine Reform des internationalen Finanzsystems oder der Vereinten Nationen geht, in der Handels- und Klimapolitik. Dabei ist klar, dass wir in vielen Fragen unterschiedliche Blickwinkel haben. Aber das kann auch helfen, um ein möglichst vollständiges Bild zu bekommen und an Lösungen zu arbeiten, die für alle Seiten funktionieren. Wir haben die Beziehungen in den letzten Jahren vielleicht für etwas zu selbstverständlich genommen. China und Russland waren dagegen in den Ländern des Globalen Südens sehr präsent.

Wie kompliziert wird die Weltordnung, wenn die Länder des Globalen Südens verstärkt mit eigenen Interessen und Sichtweisen auf den Plan treten?

Die Weltordnung verändert sich gerade. Das ist völlig klar. Die Zeiten, in denen wir in Europa gedacht haben, alle wollen so sein wie wir, sind definitiv vorbei. Das finde ich aber auch nicht schlimm, im Gegenteil. Die Länder des Globalen Südens haben Wege geschaffen, internationale Politik stärker zu beeinflussen, etwa in der BRICS-Initiative. Und sie sagen ganz klar: Wenn ihr nicht mit uns zusammenarbeiten wollt, dann suchen wir uns andere Partner. Für uns bedeutet das, dass wir uns mehr anstrengen müssen und eine so kluge Politik machen, dass wir auch bei unterschiedlichen Sichtweisen und Haltungen in bestimmten Fragen, die Hand ausstrecken und zusammenarbeiten.

Ist diese neue Herangehensweise in der deutschen Politik schon angekommen?

Noch nicht überall. In Namibia, Ghana und Südafrika ist mir wie bei meinen Besuchen in Brasilien oder der Mongolei aber gespiegelt worden, dass der Weg von Bundeskanzler Olaf Scholz, die Länder des Globalen Südens stärker einzubinden und den Kontakt zu suchen, gesehen und honoriert wird.

In Südafrika haben Sie auch eine Vereinbarung zwischen dem ANC und der SPD angestoßen. Wie soll die aussehen?

Ähnliche Vereinbarungen gibt es bereits mit unseren Schwesterparteien in Brasilien und in der Mongolei. Das Ziel ist, den Austausch zu verstärken und gemeinsame Projekte voranzubringen, etwa zur Klimapolitik. Mit dem ANC in Südafrika arbeiten wir jetzt an einem Memorandum of Understanding, in dem wir uns sehr stark auf eine Reform der internationalen Institutionen und der internationalen Finanzarchitektur sowie eine sozialgerechte Klimapolitik konzentrieren. Ich bin sehr optimistisch, dass wir da gemeinsam Akzente setzen können.

Lars
Klingbeil

Heute muss es darum gehen, Formen der Kooperation und eine Zusammenarbeit zu erreichen, von denen beide Seiten profitieren.

Im Parteitagsbeschluss zur Neuausrichtung der internationalen Politik der SPD aus dem Dezember heißt es ausdrücklich, die Partei wolle wieder „an die erfolgreiche Nord-Süd-Politik Willy Brandts anknüpfen“. Wie sollte das aussehen? 

Sicher anders als zu Zeiten Willy Brandts. Damals war die Nord-Süd-Politik ja stark von der Perspektive geprägt, wir Länder des reichen Globalen Nordens bieten den Staaten des Globalen Südens eine Entwicklungsperspektive. Da gab es ein deutliches Machtgefälle. Das ist heute ganz anders. Heute muss es darum gehen, Formen der Kooperation und eine Zusammenarbeit zu erreichen, von denen beide Seiten profitieren.

Woran denken Sie dabei?

Ein Thema, das mir auf meiner Reise häufiger begegnet ist, ist die Energieproduktion. Deutschland wird in den kommenden Jahren einen enormen Bedarf an grünem Wasserstoff haben. Länder in Afrika können diesen produzieren. Eine Partnerschaft auf Augenhöhe setzt für mich aber voraus, dass wir hier nicht einfach die Ressourcen ausbeuten. Die produzierenden Staaten müssen genauso davon profitieren und einen Aufschwung erleben. Hierfür müssen wie die entsprechenden Kooperationsmodelle entwickeln, die auch Wertschöpfung und gute Jobs vor Ort schaffen. 

In einem Fünf-Punkte-Papier machen Sie konkrete Vorschläge, wie eine Demokratisierung der internationalen Ordnung aussehen könnte. Was ist Ihnen dabei besonders wichtig?

Eine moderne Politik, die den Globalen Süden mit einbezieht, bedeutet, dass die internationalen Organisationen wie die Vereinten Nationen oder die Weltbank so reformiert werden, dass diese Länder besser repräsentiert sind und mitbestimmen. Genauso wichtig ist eine Reform der globalen Finanzarchitektur, die dem Globalen Süden mehr Möglichkeiten zur Entwicklung gibt. 

Hierfür schlagen Sie eine „Schuldenumwandlung“ vor. Was versprechen Sie sich davon?

Viele Länder, gerade in Afrika, werden geradezu erdrückt von den Schulden, die sie haben. Sie stecken in einer Schuldenspirale fest, die sie meist nicht einmal selbst zu verantworten haben. Das nimmt ihnen Entwicklungsperspektiven. Eine Schuldenumwandlung soll den hoch verschuldeten Staaten ermöglichen, einen Teil ihrer Schulden gegen die Verpflichtung zu tauschen, Investitionen zum Beispiel in die soziale und ökologische Transformation oder Investitionen in ihr Gesundheitssystem im gleichen Wert vorzunehmen.

 

„Nord-Süd – Neu denken“
Veranstaltung des Geschichtsforums der SPD mit dem Vorsitzenden Lars Klingbeil

 Wenige Tage nach seiner Reise nach Namibia, Südafrika und Ghana hält der SPD-VorsitzendeLars Klingbeil auf der Veranstaltung „Nord-Süd – Neu denken“ eine programmatische Rede zu einer modernen Nord-Süd-Politik. Vor dem Hintergrund der Zeitenwende und in der Tradition von Willy Brandt geht es in einer anschließenden Podiumsdiskussion um neue Ansätze für strategische Partnerschaften mit Ländern des globalen Südens.
 

Montag, 18. März 2024

18:00 Uhr

Willy-Brandt-Haus, Wilhelmstraße 141, 10963 Berlin

 

Begrüßung Dr. Bernd Rother, Co-Vorsitzender des Geschichtsforums der SPD

Rede Lars Klingbeil, Vorsitzender der SPD

 Diskussion

•         Lars Klingbeil, Vorsitzender der SPD

•         Svenja Schulze, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

•         Prof. Dr. Fernando Haddad, Finanzminister Brasilien

•         Dr. Comfort Ero, Präsidentin International Crisis Group

•         Moderation Henrik Maihack, Buchautor und Leiter des Afrika-Referats der Friedrich-Ebert-Stiftung

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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