Meinung

Petition zu Björn Höcke: Warum das Entziehen der Grundrechte tabu sein sollte

Mehr als eine Million Menschen haben eine Petition unterzeichnet, die dem Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke zentrale Grundrechte und das Wahlrecht entziehen will. Das ist kein Grund zu antifaschistischer Freude, sondern Grund zu höchster demokratischer Besorgnis.

von Christian Rath · 17. Januar 2024
Thüringens AfD-Chef Björn Höcke

Vorsitzender eines rechtsextremen AfD-Landesverbandes: Björn Höcke bei einer Plenarsitzung im Landtag von Thüringen.

Stellen wir uns vor, in Ungarns Verfassung würde die Möglichkeit geschaffen, Staatsfeinden die Grundrechte zu entziehen. Natürlich wären wir alle empört. Ein derartiges Manöver würde als endgültiger Beweis dafür genommen, dass Ungarn keine rechtstaatliche Demokratie mehr ist, sondern ein autoritäres Regime, fast so schlimm wie Belarus. 

Die Gewährung von verbindlichen Grundrechten, an denen sich alle Gesetze messen lassen müssen, ist eine Grundbedingung moderner Verfassungsstaaten. Niemand soll dem Staat rechtlos gegenüber stehen. Es ist das wichtigste Recht, Rechte zu haben, sagte Hannah Arendt, mit Blick auf die Diktaturen ihrer Zeit. 

Nun sieht aber das Grundgesetz - unsere Verfassung - vor, dass Menschen, die bestimmte Grundrechte wie die Meinungsfreiheit zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung "missbrauchen", damit die Grundrechte "verwirken". Dieser Artikel 18 ist ein Relikt autoritären Denkens, das dringend abgeschafft gehört, bevor er erstmals angewandt wird. 

Der Nationalsozialismus war noch nah
 

Als das Grundgesetz 1949 geschaffen wurde, war der Nationalsozialismus noch nah, ebenso das Erschrecken über das Ausmaß seiner Verbrechen. Der Kalte Krieg mit dem Kommunismus begann. Die Idee verbindlicher Grundrechte war neu. das Bundesverfassungsgericht gab es noch gar nicht. 

Dass in dieser Zeit die Verwirkung von Grundrechten als mögliches Korrektiv vorgesehen wurde, kann man zeithistorisch verstehen. Es war aber ein Lapsus, keine kluge Idee. Das findet wohl auch das Bundesverfassungsgericht. Es hat bisher alle (vier) Anträge solange liegen lassen, bis sie sich von selbst erledigt haben.

Man braucht das Instrument der Grundrechtsverwirkung auch gar nicht. Wir haben doch Strafgesetze und Gefahrenabwehrgesetze genug. Die Demokratie ist nicht schutzlos. Aber alle Gesetze müssen sich an den Grundrechten messen lassen, abstrakt und in der konkreten Anwendung. Die Gesetze müssen also verhältnismäßig sein, das ist der praktische Sinn der Grundrechte. 

Höcke als Märtyrer verhindern
 

Wenn Björn Höcke Grundrechte und Wählbarkeit aberkannt würden, wäre ja auch nichts gewonnen. Höcke würde zum Märtyrer, und statt seiner würde ein Strohmann aufgestellt, der aus Trotz gegen die obrigkeitsstaatliche Bevormundung dann die absolute Mehrheit erhielte. Das ist doch ein sehr naheliegendes Szenario.

Aber es kommt gar nicht auf die geringe Nützlichkeit des Instruments an. Das Entziehen von Grundrechten sollte vielmehr generell tabu sein, so wie Folter und Todesstrafe. Auf bestimmte Instrumente sollte der demokratische Rechtstaat generell verzichten, weil sie seine Glaubwürdigkeit beeinträchtigen.

Wer Grundrechte für disponibel und entziehbar hält, ist bereits dem autoritären Denken verfallen und damit Teil des Problems und nicht der Lösung. Wer Björn Höcke als aussichtsreichstem Kandidaten zudem die Wählbarkeit entziehen will, macht die Demokratie lächerlich und gefährdet damit das, was wir doch alle  verteidigen wollen. 

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Christian Rath

ist rechtspolitischer Korrespondent.

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12 Kommentare

Gespeichert von Martin Holzer (nicht überprüft) am Mi., 17.01.2024 - 16:31

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Es ist wirklich erfrischend hier mal Vernunft zu erleben. Ich kann den Artikel nur voll und ganz unterschreiben.

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Do., 18.01.2024 - 07:47

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kommt zum Ausdruck was gemeinhin in folgende Formel passt: Wer etwas will, findet einen Weg, wer etwas nicht will, findet einen Grund.
Wir dürfen nichts unversucht lassen, also auch nicht die hier debattierte Regelung des GG

Verbotsverfahren jetzt

Gespeichert von Jürgen Ley (nicht überprüft) am Do., 18.01.2024 - 10:54

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Wenn man im Kampf um die Demokratie wichtige Artikel unserer Verfassung nach Belieben als "Relikt autoritären Denkens" für obsolet erklärt, dann wird man der eigenen demokratischen Verantwortung heutzutage nicht gerecht, denn so gibt man den Verfassungsfeinden unfreiwillig ein Argumentationsmuster für die Demontage unseres Grundgesetzes. Andersrum: die Gestalter*innen unseres Grundgesetzes besaßen die große Weisheit über den Augenblick hinauszublicken! Und sie wussten von der Gefahr, die von populistischen Antidemokraten ausgeht. Wo sonst, als in der Verfassung sollen denn entsprechende Grundsätze formuliert werden?

Gespeichert von Michael Meyer (nicht überprüft) am Do., 18.01.2024 - 11:22

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Dieser Kommentar wurde gelöscht, da er gegen Punkt 4 der Netiquette verstößt. Bitte beachten Sie die Netiquette!

Gespeichert von Hilde Ahrens (nicht überprüft) am Do., 18.01.2024 - 12:50

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Herr Höcke wird vom BVG eindeutig als Rechtsextremist befundet. Er kann sich aber weiterhin politisch ungebremst und ungestraft gegen unsere demokratische Verfassung betätigen. Wenn Herr Rath sich nun u.a. mit der Begründung, eine Grundrechtsaberkennung Höckes ziehe ein Märtyrertum des Rechtsextremisten nach sich, dann wüsste ich gerne, welche sonstigen Maßnahmen unser BVG gegen die Feinde unserer Demokratie vornehmen kann ?? Wir sehen doch, dass sich Höcke und die AFD in allen Fällen der Gegenwehr als Verharmloser und Märtyrer präsentieren und damit leider auch bei ihren Anhänger*innen dauerhaft Erfolge verzeichnen können. Ich bin auch sicher, dass sich ein Wechsel der polit. Ausrichtung der eindeutig demokratischen Parteien und Regierungen nicht auf die prozentuale Reduzierung der Anhänger Höckes und der AFD auswirken wird. Ein gutes Beispiel erleben wir seit Jahren bei den Anhängern Trumps und dessen Machenschaften in den USA.
Auch in unserem Land sind ganz offensichtlich vielfältige, verzweigte und gut vernetzte Bestrebungen- sowohl sichtbar als auch unterhalb der Sichtschwelle - im Gang, unsere freiheitlich demokratische Grundordnung auszuhöhlen und abzuschaffen.
Wie können sich bspw. Regierungen, das BVG u.a. auf gesetzlicher Grundlage dagen zur Wehr setzen ?
Es ist notwendig, dass sich auch die Bevölkerung bei jeder Gelegenheit für unseren freiheitlich- demokratischen Rechtsstaat einsetzt. Hass, Hetze und permanente Verunglimpfungen der Regierungen müssen unterbleiben.

Gespeichert von Thomas (nicht überprüft) am Do., 18.01.2024 - 14:03

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Ein ausgezeichneter, scharfsinniger Kommentar! Auf den Punkt gebracht!

Gespeichert von Elias Hallmoser (nicht überprüft) am Fr., 19.01.2024 - 10:54

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Darüber hinaus ist das Ansinnen, einem Bürger Grundrechte entziehen zu wollen, weder 'antifaschistisch' noch vernünftig. Gegnern von Herrn Höcke [und der AfD] fehlen einfach Argumente und sie wollen wohl seine Reden nicht ertragen müssen, anstelle sie zu widerlegen.

Gegner von Herrn Höcke und der AfD sollten sich stattdessen einmal mit der wirklichen Entstehung der faschistischen Herrschaft befassen. Sie würden auf massive Fehler von Kommunisten, Sozialisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Liberalen und Konservativen stossen, aber ebenso auch auf Unterstützer, Förderer und Nutzniesser des NS-Regimes [Banken, Industrie, Grossgrundbesitzer, Generalitäten&Offiziere, hohe Beamte, Adel, Medien [Hugenberg], Kleinbürgertum (Volksschullehrer, Krämer, Handwerker ...)].

Herr Höcke und die AfD sind Symptome für das neuerliche Versagen von Kommunisten, Sozialisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaftern, Liberalen und Konservativen ... . Man 'doktert' nicht an Symptomen herum, sondern untersucht ordentlich, bis man wirkliche Ursachen gefunden hat.

Gespeichert von Hubert Maierwieser (nicht überprüft) am Sa., 20.01.2024 - 21:57

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stimme voll zu,
bedenklich ist, dass so viele fuer die "Putin Methode mit menschlichem Anlitz sind ",
wie soll das enden, Amerika ist auch gespalten, aber dort nimmt die Mehrheit die Politik
nicht fuer so wichtig und die Wirtschaft hat nicht solche Probleme wie die deutsche.
In Deutschland kommt so viel Druck in den Kessel, dass die Spaltung zu, sorry - aber zu
beuergerkrigsaehnlichen Zustaenden fuehrt. Nicht heute, nicht morgen, aber in ein paar Jahren.

Gespeichert von Matias Leão Ra… (nicht überprüft) am Fr., 16.02.2024 - 13:30

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Unterstellen wir mal, dass die Abfassung des Art. 18 GG unter dem Eindruck der Verfassungseltern entstanden ist, dass sie persönlich ein autoritäres und demokratieschädliches Terrorsystem überlebt hatten, die aus einem heutigen Verständnis von Grundrechten nicht vereinbar wäre, und dass der deutsche Staat über andere rechtliche Mittel verfügt, um sich gegen ihre Feinde zu schützen, welche aber an den übrigen Verfassungsgrundsätzen zu messen sind. So wird doch verkannt, das Art. 18 GG als Teil einer wehrhaften Demokratie [Military Democracy] zu verstehen ist.

Wenn nämlich alle übrigen anderen rechtlichen Mittel wie auch Staatsapparate in der Ausübung der anderen rechtlichen Mittel versagen, so haben die Verfassungseltern nach dem Prinzip des "penultimate man standing" dem Verfassungsgericht aufgetragen, in Hinblick auf die Verfassungswidrigkeit, Personen zu identifizieren, welche im Begriff sind, die verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen. Es ist auch nicht das letzte Mittel. Das letzte Mittel ist gemäß Art 20 (4) GG bzw. "last man standing", dass alle Deutsche das Recht zum Widerstand haben, gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. An dieser Stelle ist Art 18. GG schon abgefrühstückt. UND an dieser Stelle ist der Widerstand weder spezifiziert noch eingeschränkt. D. h., dass es nicht nur um die Einschränkung der Rechte gemäß Art. 5 (1), (3), Art. 8, Art. 9 Art. 10, Art. 14 und Art 16a GG geht, sondern auch um Leib und Leben des Angreifers, Stichwort Tyrannenmord. Eine Güteabwägung lässt hier leicht erkennen, dass die Anwendung des Art. 18 GG weit weniger schwerwiegend nicht sein kann.

Auch im Vergleich mit der Einschränkung von politischen Rechten bei Strafgefangen, z. B. aktives Wahlrecht [§ 45 (1) Nr. 1 Bundeswahlgesetz [BWG] oder auch dem jeweiligen Landeswahlgesetz [LWG] in Verbindung mi § 45 (2) BWG oder dem Passus des entsprechenden LWG, passives Wahlrecht nach § 45 (1) Nr. 2 BWG oder auch dem entsprechenden Passus eines LWG, die Einschränkung oder Entziehung der politischen Betätigung in der Haft nach § 45 StVollzG oder auch die Einschränkung oder Entziehung nach der Haft nach § 56f (1) Nr. 2 StGB anzuordnen, fällt dem Autor nicht ein, dies als autoritär zu erwähnen oder ins Verhältnis zu setzen. Daher sind auch Vergleiche mit einer autoritären Regierung wie in Ungarn rechtsgebietsfremd und politisch abwegig.

Es ist nicht schlimm das der Schnitt der Bevölkerung den Umfang von Rechtsquellen nicht kennt. Es ist aber schlimm, wenn journalistisch, in der Einordnung des Art. 18 GG, mehr als die Hälfte aller Alternativen zur Einordnung der grundgesetzelterlichen Absichten nicht vor Augen sind. Am Ende reicht es vielleicht nicht, dass alle Verfassungsschutzbehörden bescheinigen, dass Personen oder Parteien gesichert rechtsextrem und damit verfassungsfeindlich sind. Sie müssen als verfassungswidrig überführt werden. Diese Würde gebührt dem Bundesverfassungsgericht [BVG]. Dies Würde ist mit genügend Hürden gesichert. Daher kam es noch zu keiner Verurteilung, und nicht, weil das BVG etwas behördenmäßig verschleppt hätte. Diese Despektierlichkeit ist rechtspolitisch weder geboten noch sozialdemokratisch angemessen.