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EU-Sanktionen gegen Ungarn: „Orbán hat zu viel Porzellan zerschlagen“

Die EU-Kommission empfiehlt, Corona-Hilfen und Fördermittel für Ungarn erst dann freizugeben, wenn das Land Forderungen nach Rechtsstaatlichkeit umsetzt. Die Europapolitikerin Katarina Barley ordnet diese Maßnahme ein.
von Jonas Jordan · 30. November 2022
Droht ihm Ungemach? Viktor Orbán muss befürchten, dass EU-Gelder eingefroren werden.
Droht ihm Ungemach? Viktor Orbán muss befürchten, dass EU-Gelder eingefroren werden.

„Wir sehen sehr deutlich in Ungarn, dass Viktor Orbán dieses Geld dringend braucht“, sagt Katarina Barley, SPD-Abgeordnete und Vizepräsidentin des Europaparlaments. Gemeint sind mehr als sieben Milliarden Euro aus EU-Geldern sowie weitere 5,8 Milliarden Euro an Corona-Hilfen, die dem Land nach dem Vorschlag der EU-Kommission vorerst nicht zur Verfügung stehen sollen.

Hintergrund ist ein Rechtsstaatsverfahren, das die EU-Kommission in Person von Haushaltskommissar Johannes Hahn gegen das Land mit seinem umstrittenen Ministerpräsidenten eingeleitet hat. Bis zum 19. November hatte Ungarn Zeit, 17 Forderungen im Bereich der Korruptionsbekämpfung zu erfüllen. Die Kommission hält die vom Land bislang ergriffenen Maßnahmen offenbar nicht für ausreichend und hat daher am Mittwoch empfohlen, die entsprechenden Gelder erst freizugeben, wenn Ungarn sämtliche Forderungen adäquat umgesetzt hat.

Provokation mit Groß-Ungarn-Schal

Der EU-Ministerrat muss dieser Empfehlung in den kommenden Wochen jedoch noch zustimmen. Notwendig wäre dafür eine qualifizierte Mehrheit aus mindestens 15 der 27 EU-Staaten, die zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen. Dass diese Mehrheit zustande kommt, hält Katarina Barley für wahrscheinlich. „Ich glaube schon, dass es durchgeht. Orbán hat zu viel Porzellan zerschlagen“, sagt sie in einem Online-Pressegespräch am Mittwochvormittag. Mit seiner Russland zugewandten Haltung habe Orbán zuletzt auch enge Partner wie Polen verärgert.

Zudem habe er mit mehreren Aktionen deutlich überreizt, sagt Barley. Konkret meint sie zum einen eine Grafik, die Orbán in den sozialen Medien geteilt habe. Auf dieser waren mit „EU“ beschriftete Bomben zu sehen, die auf Budapest fallen. Zum anderen ließ sich der ungarische Ministerpräsident im Kontext eines Fußball-Länderspiels mit einem Schal ablichten, auf dem Groß-Ungarn abgebildet war, das Königreich Ungarn in seinen Grenzen vor 1920. Es beinhaltet auch Gebiete der heutigen Länder Österreich, Kroatien, Serbien, Rumänien, Slowakei und Ukraine. Entsprechend groß war die Empörung der betreffenden Staaten.

Orbán könnte wichtige Entscheidungen blockieren

„Dadurch, dass Orbán so massiv überzogen hat, geht es jetzt in erster Linie um das Ob, nicht um das Wie“, glaubt Barley. Sie hält es jedoch für möglich, dass der ungarische Ministerpräsident seine Zustimmung zu bestimmten Entscheidungen als Druckmittel für einen Kompromiss nutzen könnte. Konkret nennt sie ein geplantes Hilfspaket der EU für die Ukraine mit einem Umfang von 18 Milliarden Euro ebenso wie der geplante NATO-Beitritt von Schweden und Finnland, über dessen Zustimmung das ungarische Parlament nun erst im Februar entscheiden wolle.

Ein Kompromiss könnte daher so aussehen, den ungarischen Plan zur Verwendung der Gelder formell zu bestätigen, aber kein Geld auszuzahlen, bis die Forderungen der EU im Bereich Korruptionsbekämpfung erfüllt sind. Ähnlich war die Kommission bereits im Fall von Polen in diesem Jahr vorgegangen.

Barley: „Es ist wirklich krass, was für ein Klima in diesem Land entsteht“

Barley weist jedoch auch darauf hin, dass es zahlreiche Rechtsstaatlichkeitsverstöße in Ungarn gebe, die durch dieses Verfahren nicht sanktioniert werden können. Als Beispiele nennt sie die Eingriffe in die Medienfreiheit und die Einschränkung der Demokratie. „Man kann bei Ungarn nicht mehr von einer Demokratie reden, nicht mal mehr im Ansatz“, macht die Vizepräsidentin des Europaparlaments deutlich.

Als weiteren Punkt nennt sie die Drangsalierung von Unternehmen im Land, die der Opposition wohl gesonnen seien beziehungsweise diese unterstützten: „Das ist ein Signal an alle, die der Opposition helfen wollen: Wenn ihr das macht, habt ihr hier nichts mehr zu melden. Es ist wieder ein Beispiel, wie Orbán versucht, alle aus dem Weg zu fegen, die ihm in die Quere kommen. Es ist wirklich krass, was für ein Klima in diesem Land entsteht.“

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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