Inland

Nach Angriffen auf Politiker*innen: „Wir bereiten uns auf das Schlimmste vor“

Angriffe auf Politiker*innen wie den SPD-Europaabgeordneten Matthias Ecke haben das Land aufgerüttelt. Aus Sicht des Thüringer Innenminister Georg Maier haben sie viel damit zu tun, dass Populist*innen die Politik verächtlich machen. Thüringen hat bereits auf die zunehmenden Bedrohungen reagiert.

von Kai Doering · 10. Mai 2024
Thüringer Innenminister Georg Maier: Es geht jetzt darum, Betroffene von Angriffen so gut es geht zu schützen.

Thüringer Innenminister Georg Maier: Es geht jetzt darum, Betroffene von Angriffen so gut es geht zu schützen.

Nachdem sie am Dienstag angegriffen worden ist, hat die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey eine „sich verstärkende Freiwildkultur“ gegenüber Menschen kritisiert, die sich politisch engagieren. Teilen Sie die Beobachtung?

Auf diese Wortschöpfung wäre ich nicht gekommen, aber man kann das durchaus so formulieren. Wir erleben schon länger eine zunehmende Aggressivität und Verrohung bis hin zu Gewalt gegenüber politisch Aktiven, aber auch gegenüber Repräsentantinnen und Repräsentanten des Staates, wie etwa Rettungskräften. In Thüringen hat uns der Brandanschlag auf das Wohnhaus des Kommunalpolitikers Michael Müller in Waltershausen im Frühjahr aufgerüttelt. Aber auch schon davor ist deutlich geworden, dass sich in der politischen Auseinandersetzung etwas zum Negativen verändert hat.

Woher kommt das?

Das hat sehr viel damit zu tun, dass Populisten eine Verächtlichmachung der Politik betreiben. Worte wie „die da oben“ oder die Rede von den „Altparteien“ sind ein Ausdruck davon. Das geht damit einher, dass Politikerinnen und Politiker für Krisenphänomene verantwortlich gemacht werden, auch wenn das jeglicher Grundlage entbehrt. Im Thüringer Landtag zum Beispiel hat gerade die AfD behauptet, die Corona-Pandemie sei von der Bundesregierung dafür benutzt worden, um das Volk zu unterdrücken. Verschwörungserzählungen wie diese tragen ganz wesentlich dazu bei, die Menschen aufzuhetzen. Das kann sich dann in solchen Angriffen entladen, wie wir sie gerade erleben. Leider ist die AfD nicht die einzige Partei, die solche Narrative bedient.

An wen denken Sie dabei?

Die CDU hat sich hier zum Teil mit sehr fragwürdigen Äußerungen gegenüber den Grünen hervorgetan. Da gab es Tiervergleiche und ähnliches. Besonders negativ ist mir der Kommentar des Innenministers aus Baden-Württemberg in Erinnerung, der, nachdem die Grünen ihren Politischen Aschermittwoch in Biberach wegen der Bedrohungslage absagen mussten, gesagt hat, die Ampel sei mit ihrer Politik selbst schuld daran.

Georg
Maier

Es geht jetzt darum, Betroffene so gut es geht zu schützen.

Auf Einladung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser haben Sie und Ihre Kolleg*innen am Dienstag beraten, was gegen die eskalierende Gewalt getan werden kann. Sind Sie zufrieden mit den Ergebnissen?

Insgesamt ja. Die Ansichten gehen natürlich auseinander. Die Kollegen der CDU haben sehr darauf gedrungen, Gesetze zu verschärfen und das Strafmaß bei Angriffen auf Amts- und Mandatsträger zu erhöhen. Sie wollen auch einen neuen Straftatbestand einführen, den man umgangssprachlich Politiker-Stalking nennen kann. Ich gehe da mit, auch wenn ich der Meinung bin, dass wir schon gute Gesetze in diesem Bereich haben.

Wo wollen Sie stattdessen einen Schwerpunkt setzen?

Es geht jetzt darum, Betroffene so gut es geht zu schützen. Nach den Vorfällen der vergangenen Monate haben wir in Thüringen zwei Sicherheitsgipfel veranstaltet, den jüngsten gerade am 30. April. Dabei standen die Beratung und die Unterstützung von Amts- und Mandatsträgerinnen und -trägern und anderweitig politisch aktiven Personen, die aufgrund ihres politischen Engagements Opfer von Angriffen und Einschüchterungen geworden sind, im Mittelpunkt. Daraus ist ein ganzes Maßnahmenpaket entstanden, wie wir Betroffene besser beraten und unterstützen können. Diese Maßnahmen müssen nun umgesetzt werden.

Können Sie Beispiele nennen?

Der Informationsfluss von Betroffenen zur Polizei muss erleichtert werden. Wenn sich Menschen bedroht fühlen, müssen sie sich ohne großen Aufwand und unnötige Hürden an die Polizei wenden können, um Hilfe und Beratung zu erhalten. Im Rahmen eines individuellen Beratungsgesprächs können dann Schutzmaßnahmen festgelegt werden, bis hin zu Polizeischutz. Wenn wir wissen, wo Versammlungen stattfinden oder Wahlplakate aufgehängt werden, hat die Polizei auch die Möglichkeit, diese zu schützen. Wir bieten auch eine Notfall-Hotline für bedrohte Kommunalpolitiker an. Wenn etwa eine Demonstration vor dem Wohnhaus stattfindet, kann sie oder er dort anrufen und muss nicht den Weg über die allgemeine Notrufnummer nehmen. Bei all dem ist klar: Wer Menschen bedroht, muss hart bestraft werden.

Georg
Maier

Das Wichtigste ist, dass die Demokratinnen und Demokraten am 1. September die Oberhand behalten.

Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) kritisiert, die Justiz sei in vielen Fällen der Bedrohung zu lasch. Teilen Sie diese Analyse?

Ich kann nicht für Sachsen sprechen. In Thüringen haben wir unseren Staatsschutz verstärkt. Der Verfassungsschutz ist sehr aktiv und trägt die Informationen im Internet zusammen, denn gerade dort merkt man sehr früh, wenn sich etwas zusammenbraut. In Thüringen werden zum Beispiel ganz gezielt Journalistinnen und Journalisten in rechten Netzwerken stigmatisiert, inklusive Veröffentlichung ihres Wohnorts. Das dürfen wir uns als Gesellschaft nicht gefallen lassen.

Sie sind nicht nur Innenminister, sondern auch Vorsitzender und Spitzenkandidat der Thüringer SPD bei der Landtagswahl im Herbst. Mit wieviel Sorge blicken Sie auf den Landtagswahlkampf?

Im Landtagswahlkampf wird es sicher zu einer weiteren Zuspitzung kommen. Welche Auswirkungen das haben wird, kann ich schwer vorhersagen. Ich befürchte aber, dass es noch aggressiver zugehen wird. Die Verbreitung von Hetze und Falschnachrichten durch die AfD nimmt jetzt schon zu.

Wie reagiert die Thüringer SPD darauf?

Bei dieser Landtagswahl steht die Demokratie in Thüringen auf dem Spiel. Das muss man so deutlich sagen. Das motiviert uns. Gleichzeitig lässt es uns aber auch im Fokus der Feinde der Demokratie stehen. Unsere Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer werden deshalb zum Beispiel nie allein unterwegs sein und möglichst nur bei Tageslicht plakatieren. Wir hoffen natürlich, dass es nicht so schlimm kommen wird, bereiten uns aber auf das Schlimmste vor. Das Wichtigste ist, dass die Demokratinnen und Demokraten am 1. September die Oberhand behalten.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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