Inland

Gewalt gegen Polizei und Feuerwehr: Was kann die Politik tun?

Es trifft Sanitäter, Polizisten oder Feuerwehrleute – immer mehr Menschen werden bei der Arbeit Opfer von Gewalt. Ein neues Gesetz soll die Beschäftigten besser schützen, sagt SPD-Bundesjustizminister Heiko Maas. Woher aber kommt die Gewalt?
von Paul Starzmann · 16. Juni 2017
Feuerwehr
Feuerwehr

Sie kommen, um Menschenleben zu retten und geraten dabei selbst in Gefahr: Immer häufiger werden Rettungssanitäter in Deutschland während des Einsatzes Opfer von Gewalt. Sie werden mit Böllern oder Flaschen beworfen, bespuckt, bepöbelt und geschlagen – und daran gehindert, Verletzte zu bergen oder Unfallopfer zu versorgen.

Heiko Maas: Angreifer sind „doppelt schuldig“

„Wer Rettungskräfte im Einsatz attackiert oder gewaltsam behindert, der macht sich, wie ich finde, gleich doppelt schuldig“, sagte Bundesjustizminister Heiko Maas am Freitag bei einer Veranstaltung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Berlin. „Nämlich erst an den Rettern selbst und dann vor allen Dingen an den Menschen, denen die Retter nicht oder nur verspätet helfen können.“

Aus diesem Grund hat der Bundestag Ende April ein Gesetz beschlossen, das höhere Strafen für Angriffe auf Sanitäter und Feuerwehrleute vorsieht. Wer Notfallhelfer an der Arbeit hindert, muss mit bis zu einem Jahr Haft rechnen. Auch auf den Widerstand gegen Polizisten stehen ab nun höhere Strafen – wer die Beamten tätlich angreift, dem drohen bis zu fünf Jahre Haft.

DGB-Chef Hoffmann: Rund 72.000 Angriffe auf Polizisten

Der Deutsche Gewerkschaftsbund begrüßt die neuen Regelungen. DGB-Chef Reiner Hoffmann verwies darauf, dass 2016 bundesweit rund 72.000 Polizisten handgreiflichen Attacken ausgesetzt gewesen seien. „Das Maß der Erträglichen ist da weit überschritten“, sagte er.

Doch nicht nur Polizisten und Sanitäter sind betroffen: 2016 habe es im Münchner Sozialreferat fast jeden zweiten Tag eine Attacke auf Mitarbeiter gegeben, so Hoffmann. Auch Schullehrer seien regelmäßigen Angriffen ausgesetzt, doch nur wenige trauten sich, darüber offen zu sprechen. Hoffmann will dieses Tabu brechen, das Thema breit debattieren: „Es muss auf der politischen Agenda ganz nach oben rücken“, forderte er.

Woher kommt die Gewalt?

Der Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer von der Universität Bielefeld ist jedoch skeptisch, was die Statistiken über die Gewalt gegen Polizisten betrifft. „Hier definiert die Polizei selbst, was Gewalt ist“, gab er zu bedenken. „An vielen Stellen sind diese Daten von Interessensgruppen erhoben worden.“ Woher die Gewalt gegen Polizisten oder Jobcenter-Mitarbeiter kommt, könnten diese Daten nicht erklären.

Heitmeyer sucht die Ursachen in der Gesellschaft. „Es ist der Druck, der auf den Menschen lastet“, sagte er. „Und dieser Druck wird nicht geringer werden.“ Die wirtschaftlichen Prinzipien des Kapitalismus drängten immer weiter in den sozialen Alltag ein, setzten die Menschen unter immer stärkeren Leistungsdruck. Auf der Suche nach Anerkennung würden einige dann als „Selbstermächtigung“ zu Gewalt gegen die Vertreter des Staates greifen. So komme es auch im Jobcenter zu handfesten Konflikten: Arbeitssuchende würden dort zwar als „Kunden“ bezeichnet, wie Heitmeyer erklärte, in Wirklichkeit aber stünden sie in einem einseitigen Abhängigkeitsverhältnis mit der Behörde. Dies könne bei den Betroffenen starke „Ungerechtigkeitsgefühle“ und Frustration auslösen, die bei manchen dann in Gewalt ausarteten.

Gesetze und Appelle lösen das Problem nicht

„Natürlich reflektiert Gewalt den Zustand der Gesellschaft“, stimmte Heiko Maas zu. Das zeige auch „sprachliche Verrohung im Internet“. 2015 habe die „Hasskriminalität“ im Netz um 160 Prozent zugenommen. Umso wichtiger sei das „Netzwerkduchsetzungsgesetz“, mit dem der Justizminister strafbaren Inhalten in den Sozialen Medien einen Riegel vorschieben will. Denn aus den verbalen Attacken im Internet könne schnell echte Gewalt werden, sagte Maas. „Und für Gewalt gibt es nie eine Rechtfertigung.“

Die Politik habe jedoch nur einen begrenzten Spielraum, der Gewalt in der Gesellschaft Herr zu werden, meint Wilhelm Heitmeyer. Gesetze oder Appelle der Regierung könnten das Problem lediglich „dämpfen“, lösen aber nicht. Der Konfliktforscher betonte: „Eine gewaltfreie Gesellschaft wird es nicht geben.“

Autor*in
Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare