Inland

Georg Maier: „Die Bundesrepublik kann es problemlos verkraften, mehr Menschen aufzunehmen.“

Am Mittwoch beginnt die Innenministerkonferenz (IMK). Neben der Corona-Krise steht auch die Flüchtlingspolitik auf der Tagesordnung. Im Interview spricht sich der IMK-Vorsitzende, Thüringens Innenminister Georg Maier, für die Aufnahme weiterer Geflüchteter aus.
von Benedikt Dittrich · 16. Juni 2020
In Griechenland harren weiterhin tausende Geflüchtete in überfüllten Aufnahmelagern aus – trotz Corona-Pandemie.
In Griechenland harren weiterhin tausende Geflüchtete in überfüllten Aufnahmelagern aus – trotz Corona-Pandemie.

Georg Maier, die SPD kämpft seit Monaten dafür, dass in Griechenland gestrandete Geflüchtete in Deutschland aufgenommen werden. Jetzt will der bayerische Innenminister Abschiebeflüge nach Syrien planen. Ist das die Konfliktlinie für die am Mittwoch beginnende Innenministerkonferenz?

Das ist schon seit geraumer Zeit eine Konfliktlinie. Die CDU/CSU-Innenminister setzen Syrien immer wieder auf die Tagesordnung. Gerade, wenn schwere Straftaten durch Geflüchtete passiert sind, wird gefordert, sie in ihre Heimatländer zurückzuführen.

In Syrien ist das aber gar nicht möglich. Dort herrscht ein Terrorregime, es werden Menschen gefoltert und hingerichtet. Geflüchtete dorthin abzuschieben, ist ein Widerspruch zu unserem Asylrecht. Das ist bei Straftätern schwer zu ertragen, aber es ist so. Das vertreten wir auch auf der Innenministerkonferenz.

Gleichzeitig harren auf den griechischen Inseln weiterhin zehntausende Geflüchtete aus. Ist da endlich eine Lösung in Sicht?

Es gibt eine Vereinbarung, dass besonders Schutzbedürftige von den griechischen Inseln nach Deutschland geholt werden dürfen. Diese Vereinbarung geht auf die Initiative von Boris Pistorius, Andreas Geisel und mir zurück, dadurch konnte die SPD-Bundestagsfraktion den Druck auf den Bundesinnenminister aufrechterhalten. Durch die Covid19-Pandemie konnten erst 47 Menschen nach Deutschland kommen, aber es sollen demnächst mehrere Hundert folgen. Allerdings haben es unter anderem schwarz-grüne Landesregierungen im Bundesrat verhindert, dass mit einem Landesaufnahmeprogramm, wie wir es in Thüringen haben, auch ohne Einvernehmen mit dem Bund, Geflüchtete nach Deutschland geholt werden können. Das finde ich sehr bedauerlich. Die Bundesrepublik kann es problemlos verkraften, mehr Menschen aufzunehmen, auch in Corona-Zeiten.

Für diese Position wird die SPD von links und rechts kritisiert. Für die einen ist es zu wenig, für die anderen zu viel.

Gerade bei den Themen Migration und Innere Sicherheit wird immer wieder heftig diskutiert. Das ist auch gut so. Ich würde mir allerdings wünschen, dass wir uns parteiintern nicht auseinander dividieren lassen. Es gibt andere Möglichkeiten, miteinander zu diskutieren als über Twitter.

Am Dienstag hat in Hessen der Prozess im Mordfall Walter Lübcke begonnen. Auf der Anklagebank sitzen zwei bekannte Neonazis. Gibt es aus den Ermittlungen im Nachbarbundesland auch hilfreiche Hinweise auf rechte Strukturen in Thüringen?

Es gibt in Thüringen ganz offensichtlich rechtsextremistische Strukturen. Um das zu erkennen, muss man in gewissen Landesteilen nur mit offenen Augen durch die Gegend laufen, da wird das teilweise offen zelebriert.

Ich habe bei meinem Amtsantritt 2017 gesagt, dass der Kampf gegen Rechtsextremismus bei mir zur Chefsache wird. Dafür wurde ich belächelt. Wir hatten damals Rechtsrock-Konzerte in Thüringen mit über siebentausend Teilnehmern. Die gibt es jetzt nicht mehr, weil wir sehr hart dagegen vorgehen. Diese Erfolge haben wir gemeinsam mit den Bürgerbündnissen vor Ort erreicht. Rechtsextreme versuchen sich auf verschiedenen Wegen in andere gesellschaftliche Schichten vorzuarbeiten, betreiben zum Beispiel Gaststätten und geben sich bürgerlich. Aus solchen Strukturen wächst am Ende rechter Terror.

Bei der Landtagswahl in Thüringen im Oktober holte die AfD mit Björn Höcke 23 Prozent. Dem Ergebnis folgte eine politische Krise, 2021 gibt es Neuwahlen. Wird der Kampf gegen Rechtsextremismus dann das Wahlkampfthema Nummer eins?

Als Sozialdemokrat und Innenminister möchte ich das in den Vordergrund stellen. Die SPD ist die Partei, die stets mutig gegen Nationalismus und Faschismus gekämpft hat. Wir sollten deutlich machen, dass wir auch jetzt diejenigen sind, die mit aller Kraft für unsere Demokratie kämpfen. Für Linke und Grüne passt es ja schon fast nicht mehr ins Weltbild, dass es die SPD-Minister sind, die erfolgreich gegen rechtsextreme Strukturen vorgehen. Wenn es darum geht, als SPD wieder stärker zu werden, dann müssen wir auch die Wählerinnen und Wähler erreichen, denen diese Themen wichtig sind.

Soziale Sicherheit und innere Sicherheit sind keine widersprüchlichen politischen Ziele. Die SPD stand schon immer für beides. Mit einer klaren Unterscheidbarkeit von der Law-and-Order-Politik der Union und der teilweise polizeifeindlichen Haltung der Linken können wir da wieder punkten. Gerade in Krisenzeiten haben die Menschen ja den Anspruch, dass die Sicherheit gewährleistet wird und die Polizei sichtbar ist. Das wirkt der weit verbreiteten „gefühlten“ Unsicherheit entgegen. Dafür müssen wir das Personal aufstocken. So können wir auch der AfD den Wind aus den Segeln nehmen, die gezielt Ängste in der Bevölkerung schürt.

Aber lässt sich mit mehr Polizei wirklich das Gefühl von Sicherheit beeinflussen?

Ich glaube, dass gefühlte Angst stark durch soziale Medien forciert wird. Algorithmen sorgen dafür, dass Filterblasen entstehen, die nicht mehr viel mit der Realität zu tun haben. Das betrifft vor allem die Sicherheitslage. Selten war die Kriminalitätsrate so niedrig, trotzdem glauben die Menschen es sei unsicherer geworden. Wir müssen dem entgegentreten, indem wir gegen Fake News im Netz vorgehen und gleichzeitig die gefühlte Angst ernst nehmen. Man kann ja nicht behaupten: „Alles ist gut.“ Es gibt Bereiche, in denen die Kriminalität zugenommen, beispielsweise bei sexuellen Übergriffen. Aber wenn man dagegen vorgeht, dann verstehen die Menschen, dass Angst oft unbegründet ist.

Nach dem Mord an George Floyd wurde in den vergangenen Tagen auch über Rassismus in der deutschen Polizei diskutiert. Gibt es aus dieser Diskussion Impulse, die Sie für ihre Arbeit mitnehmen?

Ich bin erstmal dafür, dass diese aufgeheizte Debatte jetzt versachlicht wird. Dann haben wir die Chance, daraus etwas Positives zu entwickeln, Vorurteile auszuräumen. Wir haben auch die Möglichkeit, Hinweise von Menschen mit anderer Hautfarbe aufzunehmen. Ich war von manchen Schilderungen sehr betroffen, das muss ich ehrlich sagen. Wir sollten aber aufhören, der Polizei vorzuwerfen, dass es strukturellen Rassismus gibt. Es gibt rassistische Vorfälle, die wir abstellen müssen. Vor allem müssen wir mehr miteinander reden. In Thüringen wollen wir beispielsweise an der Polizeischule mit Opferorganisationen ins Gespräch kommen, damit gegenseitig Erfahrungen geschildert werden können. Ich glaube, so können wir gemeinsam weiterkommen.

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