Geschichte

50 Jahre Umweltprogramm: Als Willy Brandt Umweltpolitik begründete

Von Klimaschutz war noch lange nicht die Rede, als am 29. September 1971 die sozialliberale Koalition unter Kanzler Willy Brandt das erste Umweltprogramm verabschiedete. Es ist der Beginn einer Umweltpolitik, die noch heute dem Klimaschutz nutzt.
von Benedikt Dittrich · 28. September 2021
SPD-Bundeskanzler Willy Brandt (rechts) und FDP-Innenminister Hans-Dietrich Genscher brachten 1971 in Deutschland das erste Umweltprogramm auf den Weg.
SPD-Bundeskanzler Willy Brandt (rechts) und FDP-Innenminister Hans-Dietrich Genscher brachten 1971 in Deutschland das erste Umweltprogramm auf den Weg.

1971 verabschiedete die sozialliberale Koalition ein Umweltprogramm. Mehr als 100 Gesetze und Verordnungen, vereinbart von SPD und FDP, die Umweltschutz und Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt stellten – als von Klimaschutz noch nicht die Rede sein konnte. Und noch heute wird das Programm als „Meilenstein der Umweltpolitik“ bezeichnet.

Ein Meilenstein, der sich in Reden und Beschlüssen schon Jahre zuvor entwickelt hatte: Schon 1961 sprach Willy Brandt im Wahlkampf darüber, dass der Himmel über der Ruhr wieder blau sein solle, womit er auf die Luftverschmutzung durch den Bergbau abzielte. 1969 nannte er in seiner Regierungserklärung auch den Umweltschutz als ein wichtiges Thema neben dem Versprechen, Wirtschaft, Wachstum und Wohlstand zu fördern. Ankündigungen, denen 1970 ein Umwelt-Sofortprogramm sowie 1971 schließlich das Umweltprogramm der Regierungskoalition folgten. Es passierte an einem Mittwoch, dem 29. September 1971, den Bundestag in Bonn. Federführend war neben dem sozialdemokratischen Kanzler Willy Brandt Innenminister Hans-Dietrich Genscher von der FDP.

Nachhaltigkeit als Existenzfrage

Bemerkenswert ist dabei heute noch der Rahmen, den Brandt unter anderem im Vorwort zum Programm beschrieb: „Die Erhaltung einer gesunden und ausgewogenen Umwelt gehört zu den Existenzfragen der Menschheit“, heißt es in der Drucksache, die nach der Verabschiedung im Bundestag im Oktober veröffentlicht wird. Mit ihrem Umweltprogramm wolle die Bundesregierung, schreibt Willy Brandt, jede*r Bürger*in auch in Zukunft eine dem Menschen würdige Umwelt sichern. „Auch für künftige Generationen müssen saubere Luft, reines Wasser und eine gesunde Landschaft bewahrt werden.“

Obgleich natürlich nicht die Rede davon sein kann, dass Willy Brandt 1971 schon CO2-Belastungen oder den Klimawandel im Blick hatte, so gelten die grundsätzlichen, im Umweltprogramm verankerten Prinzipien von Vorsorge, Prävention und Kooperation im Schutz von Natur und Umwelt noch heute. Ob Umwelt- oder Klimaschutz, die vor 50 Jahren verabschiedeten Leitlinien lassen sich auch auf die heutigen Herausforderungen anwenden.

Vorsorge-, Verursacher und Kooperationsprinzip

„Umweltprobleme machen vor keiner Grenze halt. Die Zusammenarbeit mit den Nachbarn ist nötig“, so Brandt. Er meint damit nicht nur die DDR, sondern vor allem die europäische Ebene, gleichzeitig nennt er das Umweltprogramm auch ein Angebot an alle Staaten.

Was Brandt im Vorwort und auch in vorigen Reden skizziert hatte, wurde im Programm dann in vier Grundprinzipien und mehr als 100 verschiedenen Einzelmaßnahmen festgehalten, die sich dem Lärmschutz, ebenso wie der Abfallvermeidung, dem Gewässerschutz und der Aufforstung von Wäldern widmen. Zentral dabei war das Vorsorgeprinzip, das den Schutz der Umwelt vor neuen Schäden und auch die Vermeidung von Umweltbelastungen in den Mittelpunkt der Politik stellt.

Hinzu kommt das Verursacherprinzip, das für verursachte Umweltschäden zunächst die Verursacher*innen in die Haftung nimmt – von einzelnen Bürger*innen bis hin zu Unternehmen und der Industrie. Die anerkannte Grenzenlosigkeit der Umweltpolitik führt außerdem zum dritten Punkt: dem Kooperationsprinzip. So war es ein zentraler Anspruch, Lösungen in der Umweltpolitik sowohl in der Kooperation zwischen Staaten, als auch in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft zu finden.

Als Probleme wurden in den siebziger Jahren vor allem Luftverschmutzung, Lärm und die Belastung der Natur durch Abfall und Schadstoffe thematisiert. Probleme, die heute ebenfalls noch gesehen werden, allerdings spielt heute natürlich die Bekämpfung des menschengemachten Klimawandels und die Abwehr der Folgen eine wesentlich größere Rolle. CO2-Emissionen waren 1971 noch kein Thema, auch Forschung und Wissenschaft standen in diesem Bereich noch am Anfang.

Umweltschutz damals, Klimaschutz heute

Dennoch: Mit dem Umweltprogramm wurde Umweltschutz als eigenständiges, relevantes Politikfeld anerkannt und der damalige Anspruch, Natur und Umwelt zu schützen, ist heute auch mit Blick auf das Klima nicht weniger falsch. Der Wunsch, mit den natürlichen Ressourcen des Planeten sparsam und nachhaltig umzugehen, ist in den einzelnen Maßnahmen und Gesetzen von 1971 ebenso verankert wie der Anspruch, Forschung und Entwicklung zu fördern und das Verständnis der komplexen Zusammenhänge in Natur und Umwelt voranzutreiben.

Auch wenn in den Folgejahren nicht jede Maßnahme umgesetzt wurde und der Umweltschutz gegen Energieversorgung, Industrie und dem Wunsch nach technologischem Fortschritt einen schweren Stand hatte: Die damaligen Prinzipien sind heute wie damals aktuell, auch wenn der Rahmen mit Blick auf das globale Klima sich erheblich vergrößert hat.

In den Folgejahren wurden die Auswirkungen der Industrialisierung auf Umwelt und Klima und auch die komplexen Zusammenhänge immer besser verstanden, Bürgerinitiativen griffen teilweise das Umweltprogramm für ihre Forderungen wieder auf. Knapp acht Jahre später, im Februar 1979, tagt erstmals die UN-Klimakonferenz in Genf, 1986 gibt es in Deutschland erstmals ein Bundesumweltministerium.

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